"Zum ersten Mal konnten wir die ganze Mobilität, die Wege, die Menschen gehen, in Marburg und nach Marburg, systematisch erfassen und auswerten. … Und mit heutiger Datentechnologie kann man das als Ganzes ganz anders auswerten. … Dazu gehören Verkehrszählungen, eine Pendleranalyse, Daten zur Erreichbarkeit wirtschaftlich wichtiger Ziele …"

Großartig, dachte ich, dann kann ich sicher auf die Daten zugreifen und mir ein eigenes Bild machen. Aber was macht man, wenn man einen Artikel über die zugrunde liegenden Daten schreiben will, aber nicht viel findet?

Aber der Reihe nach, hier ist zunächst der Verweis auf das Video mit dem o.g. Zitat von OB Thomas Spies (ab Minute 01:30):

OB Spies zur Datenlage

Die Spurensuche beginnt im MoVe 35 Endbericht: "Die Bestandsaufnahme und -analyse bilden den ersten großen Arbeitsbaustein für MoVe 35. Die Ergebnisse sind in einem eigenen Zwischenbericht dargestellt." heißt es auf Seite 16.

Gut, werfen wir einen Blick in den Zwischenbericht:

"Ein wichtiger Teil der Bestandsanalyse – die stadtweiten Kfz-Verkehrszählungen zum Aufbau eines Verkehrsmodells, das die Verkehrsmengen im Straßennetz inklusive des Schwerverkehrs darstellen wird, konnte aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie noch nicht erfolgen. Sie werden genauso wie die geplanten Zählungen des Radverkehrs nachgeholt, sobald Alltagsleben und Mobilität wieder größtenteils zur Normalität zurückkehren."

Vgl. MoVe 35 Zwischenbericht: Seite 10

"Die umfassenden Verkehrszählungen des Kfz-Verkehrs im Stadtgebiet, die Grundlage für den Aufbau eines gesamtstädtischen Verkehrsmodells sind, konnten aufgrund der Pandemie-Situation leider noch nicht durchgeführt werden. Sie werden nachgeholt, sobald es die Situation erlaubt. Das Verkehrsmodell wird ein wichtiger Bewertungsmaßstab sein, um im Rahmen der Maßnahmenerarbeitung denkbare Entwicklungen des Straßennetzes abbilden und ihre Auswirkungen auf die Kfz- und Schwerverkehrsmengen bewerten zu können."

Vgl. MoVe 35 Zwischenbericht: Seite 125

Sonstige Hinweise sind nicht zu finden, auch keine Informationen darüber, ob diese "wichtigen" Verkehrszählungen später tatsächlich stattgefunden haben.

Also keine Daten zu Verkehrszählungen. Dafür kommt dann im Kapitel 4.1 eine sogenannte Mobilitätsuntersuchung der Stadt Marburg aus dem Jahr 2018 ins Spiel:

"Auf Basis der Mobilitätsuntersuchung der Stadt Marburg aus dem Jahr 2018 liegen umfassende Daten vor. Die Daten zum Verkehrsverhalten in der Stadt Marburg wurden durch die Technische Universität Dresden mittels der repräsentativen Studie „Mobilität in Städten SrV“ erhoben."

Vgl. MoVe 35 Zwischenbericht: Seite 24

Eine Erläuterung, was es damit auf sich hat oder eine Angabe, wo man die Daten dieser Untersuchung einsehen kann, sucht man erneut vergebens.

Gut, dann springen wir mal rüber auf den Webserver der Technischen Universität Dresden und die Seiten Mobilität in Städten SrV 2018.

Auf der Karte der teilnehmenden Städten und Gemeinden ist Marburg nicht aufgeführt. Aber immerhin gibt es eine namentliche Erwähnung auf Seite 26 der "Sonderauswertung zum Forschungsprojekt". Sonst nichts.

Hmm, ich bin etwas irritiert.

Zurück zum Zwischenbericht. Unter der Abbildung zur Verkehrsmittelwahl "Modal Split" (dem Lieblingsbegriff aller Verkehrsplaner) findet sich dann der kleine Hinweis "Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von SrV 2018":

Modal Split Vgl. MoVe 35 Zwischenbericht: Seite 25

Was heißt das jetzt? Hat Marburg an der SrV Befragung teilgenommen oder nicht? Wieviele Bürger wurden befragt? Mit welchem Ergebnis? Und wie sind die Erkenntnisse in den Zwischenbericht eingeflossen?

Oder bedeutet "Eigene Darstellung auf der Grundlage von SrV 2018", dass man die Ergebnisse aus dem Dokument "Oberzentren bis unter 500.000 Einwohner, hügelig" der TU Dresden mehr oder weniger freihändig auf Marburg übertragen hat?

Fragen über Fragen.

Schluss

Vielleicht bin ich als IT-ler zu pieselig, zu kleinlich, weil ich immer genau wissen will, wie die Daten aussehen, aus denen bestimmte Erkenntnisse abgeleitet werden. Gerade dann, wenn sie "ein wichtiger Teil der Bestandsanalyse" sind und Einfluss auf das Endergebnis haben, wie in diesem Fall.

Aber wenn einerseits von der großartigen Datenbasis gesprochen wird, auf der das MoVe 35 Konzept fußt, man andererseits nur durch das aufmerksame Lesen im Kleingedruckten erfährt, dass die Datenbasis eher dünn ist, dann fühlt man sich schon ein wenig … verschaukelt.

Oder sehe ich das falsch und habe etwas übersehen?



  1. Vorgeplänkel
  2. Das Konzept
  3. Das Beratungsbüro
  4. Die Datenbasis
  5. Die Online-Umfrage