Die EU-Kommission will Internetdienstleistern vorschreiben, private Chats, Nachrichten und E-Mails massenhaft und anlasslos auf verdächtige Inhalte zu durchsuchen, um die Strafverfolgung von Kinderpornografie zu erleichtern. (siehe Chatkontrolle?!)

(1) Die gute Nachricht: Eine verpflichtende Chatkontolle kommt - zunächst - nicht

Ursprünglich war geplant, die Chatkontrolle auf Anordnung noch vor der EU-Wahl im Juni auf den Weg zu bringen. Da sich die Mitgliedstaaten bis zuletzt im EU-Rat nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnten, wurde das Vorhaben bis auf weiteres auf Eis gelegt:

Die verpflichtende Chatkontrolle ist vorerst gestoppt. Die EU-Staaten finden keine gemeinsame Position zum Gesetzentwurf der EU-Kommission. Trotz vieler Verhandlungen wird sich der Rat dieses Jahr nicht mehr einigen. Damit wird das Gesetz vor der EU-Wahl im Juni voraussichtlich nicht mehr beschlossen. Die notwendige Zeit für eine Einigung ist abgelaufen.

Andre Meister, netzpolitik.org: Verpflichtende Chatkontrolle vorerst gescheitert

(2) Die freiwillige Chatkontrolle soll verlängert werden

Die verpflichtende Chatkontrolle ist gestoppt, also brachte die EU-Kommission eine Verlängerung der freiwilligen Chatkontrolle auf den Weg. Dabei sollen Anbieter wie Meta und Microsoft weiterhin die Inhalte ihrer Nutzer "freiwillig" durchsuchen dürfen. Das war bislang nur durch eine Ausnahmeregelung möglich, da die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation eine strikte Vertraulichkeit jedweder Kommunikation vorsieht. Diese Ausnahme ist jedoch bis August 2024 befristet.

Wie bisher US-Anbieter mit Diensten wie GMail, Facebook & Instagram Messenger, Skype, Snapchat oder iCloud E-Mail davon Gebrauch machen, läßt sich in der aufschlussreichen Abhandlung Basic Online Safety Expectations nachlesen.

Nun hat der EU-Innenausschuss am 31.01.2024 grünes Licht für eine Verlängerung der freiwilligen Chatkontrolle bis 2025 gegeben. Ein von Piraten, Grünen, Linke und FDP unterstützer Ablehnungsantrag wurde mit den Stimmen von CDU, SPD und AfD zurückgewiesen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird daher das EU-Parlament die Verlängerung noch im Februar durchwinken.

(3) ZDF Dokumentation: Ende der privaten Chats?

Beim ZDF ist in der Reihe "Die Spur" die Dokumentation Ende der privaten Chats? über die Machenschaften des Herrn Kutscher in Brüssel und die Verstrickungen erschienen:

Reporter Lucas Eiler und Datenjournalistin Ciara Cesaro-Tadic rekonstruieren, wie Kutcher und seine Stiftung Thorn sich in Brüssel für die Überwachungspläne einsetzen. Sie zeigen, wie Kutcher seine Prominenz nutzte, um für das Vorhaben zu werben. Dabei scheint das Engagement nicht ganz uneigennützig: "Thorn" hat eine Software entwickelt, die zum Scannen auf Kindesmissbrauchsdarstellungen eingesetzt werden kann.

Die Spur: Ende der privaten Chats?

(4) Thorn will Verschlüsselung auch für andere Zwecke aushebeln

Unterdessen haben die Leute des Recherche-Netzwerks Follow the Money herausgefunden, dass es Ashton Kutchers Organisation Thorn von Anfang an darum ging, der EU-Kommission aufzuzeigen, dass die Chatkontrolle noch viel weitgehender eingesetzt werden kann. In einem Thorn-Dokument, das FtM zugespielt wurde, heißt es:

When considering regulation or legislation on encryption it should not be done soleley focusing on CSAM. Solutions for detection in encrypted environments are much broader than one single crime, and any regulation or legislation should look at the full scope of the topic in order to fully address the problem.

Thorn: Encryption

Da bleibt einem beim Lesen die Spucke weg.

Hier noch der Link zu dem FtM Bericht: EU-backed surveillance software for detecting child abuse has serious flaws, manufacturer admits

(5) Podiumsdiskussion auf dem 37. Chaos Communication Congress

Die Chatkontrolle war auch ein Thema auf dem 37C3 Ende Dezember 2023 in Hamburg. Auf der mit Ulrich Kelber (Bundesdatenschutzbeauftragter), Patrick Breyer (EU Abgeordneter) und khaleesi (Chatkontrolle STOPPEN!) besetzten Podiumsdiskussion gab es einen Rückblick auf den Kampf gegen die Chatkontrolle während der letzten drei Jahren. Über diesen Link ist der Mittschnitt erreichbar.

Podium

Kelber vertritt als oberster deutscher Datenschützer eine sehr klare Position zur Chatkontrolle:

"Zur Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs sollten effektive und zielgerichtete Maßnahmen umgesetzt werden. Eine anlasslose Massenüberwachung gehört nicht dazu. So etwas kennen wir ansonsten nur aus autoritären Staaten."

Pressemitteilung: BfDI fordert Einhaltung der Grundrechte bei Chatkontrolle

(6) Apropos Ulrich Kelber

Kelber hatte seit seinem Amtsantritt 2019 keinen Konflikt mit der Bundesregierung gescheut. Hier ein Beispiel:

Kelber betonte heute, dass an vielen Stellen noch die Konkretisierung durch das von Karl Lauterbach geführte Gesundheitsministerium fehle, der BfDI (Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit) aber natürlich bei den geplanten Gesetzesvorhaben eine Stellungnahme abgeben werde. "Es geht darum, dass man nicht aus scheinbaren Komfortgründen auf grundlegende Datenschutz- und IT-Sicherheitsmaßnahmen verzichten darf", machte Kelber seine Position klar.

Heise: Bundesdatenschützer Kelber mahnt Bundesregierung und kritisiert EU-Kommission

Und ist damit offenkundig bei der SPD-Bundestagsfraktion in Ungnade gefallen. Jedenfalls "kämpft" die Fraktion nicht für eine zweite Amtszeit Kelbers:

Dazu kam, wie heise online Ende November berichtete, die Unzufriedenheit mit Kelber in der ehemals eigenen Bundestagsfraktion und vor allem in SPD-geführten Ministerien und Ämtern. Kelber hatte immer wieder deutliche Kritik gegen Vorhaben des Bundesministeriums für Gesundheit, des Innenministeriums und des Bundespresseamts geäußert oder ging sogar rechtlich gegen diese vor. Die SPD-Fraktion kämpfte daher nicht für eine zweite Amtszeit Kelbers, wie es aus Fraktionskreisen bestätigt wird.

Heise: Ampel sucht Nachfolge für Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber

Sehr bedauerlich.

Schluss

Der EU-Bürokratie-Wahnnsinn ist ein permanentes Ärgernis. Unangenehm und gefährlich wird es, wenn technisch unbedarfte EU-Kommissarinnen in die Fänge charmanter Jungs vom Schlage eines Ashton Kutscher geraten, der unter dem Deckmantel der Erkennung von Kinderpornografie seine inakzeptablen wirtschaftlichen Interessen durchsetzen möchte.

Das Internet ist großartig.
Damit das so bleibt ist es wichtig, wachsam zu sein und informiert zu bleiben.