"Nein, das Konzept ist fertig. Zweieinhalb Jahre hat die Stadt daran gearbeitet, mit den Wissenschaftlern, mit den Experten, mit den Ortsbeiräten, mit den Bürgerinnen, die sich ganz allgemein an den Veranstaltungen beteiligt haben … ich kann mit Sicherheit sagen, dass das ein sehr aufwändiges Verfahren war … deshalb muss man den Sack auch mal zumachen."
Stadtrat Dr. Kopatz in Hörmal Marburg, Folge 71 - ab 09:32

Um einmal zu schauen, was im Sack drin ist, folgt hier der zweite Teil meiner Blog-Reihe mit einem Überblick der - aus meiner Sicht - wichtigsten MoVe 35-Inhalte:

Ausgangslage

Das ursprüngliche Konzept wurde von der damaligen SPD/CDU/BfM-Koalition angestoßen:

"Die Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt Marburg hat im April 2019 die Aufstellung einer ganzheitlichen Mobilitätsstrategie beschlossen."

Siehe Green-City-Plan Marburg

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Als Fundament für die Mobilitätsstrategie und Entscheidungsgrundlage wurde eine Leitlinie, das sogenanntes Zielkonzept, beschlossen:

- Sichere Mobilität und Barrierefreiheit
- Innere und regionale Erreichbarkeit Marburgs als Oberzentrum
- Umweltverbund als Rückgrat der Mobilität
- Stadt- und umweltverträglicher Kfz-Verkehr
- Attraktiver öffentlicher Raum in einer Stadt der kurzen Wege

Vgl. MoVe 35: Seite 18 ff.

Nach der Kommunalwahl 2021 änderte die neue Koalition (bestehend aus SPD, Grüne, Klimaliste) gleichzeitig einen der Schwerpunkte:

"Die Stadtverordnetenversammlung hat im Rahmen des Zielkonzeptes eine Reduzierung des Anteils des motorisierten Individualverkehres (MIV) an den zurückgelegten Wegen um 25 bis 50 %, möglichst eine Halbierung, beschlossen."

Vgl. MoVe 35: Seite 30

"Mit der Bearbeitung der gesamtheitlichen Mobilitätsstrategie wurde 2020 das Büro Planersocietät beauftragt, das gemeinsam und mit umfassender Beteiligung verschiedenster Gruppierungen der Stadtgesellschaft, der Bürgerschaft, der Politik sowie in enger Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung dieses Konzept erarbeitet hat."

Vgl. MoVe 35: Seite 9

Szenarien

Als Handlungspfad für das Erreichen der Ziele wurden drei Szenarien entwickelt.

Szenario 1: Angebote schaffen
Szenario 2: Push & Pull
Szenario 3: Klimaschutz

Vgl. MoVe 35: Seite 22 ff.

Nach einer verhältnismäßig kurzen Begründung kommt das Planungsbüro schnell zu dem Schluss, dass lediglich das Szenario 3 weiter verfolgt werden sollte:

"Der im Zielkonzept des MoVe35 angesetzte maximale Zielwert einer Halbierung des motorisierten Individualverkehres und damit das Ziel der Klimaneutralität wird nur im dritten Szenario Klimaschutz erreicht. Bei den anderen beiden Szenarien reichen die Maßnahmen für eine entsprechend starke Verlagerung des motorisierten Individualverkehrs nicht aus."

"Eine signifikante Steigerung der Verkehrsleistung im Radverkehr erfolgt nur im Szenario 3, wo starke Investitionen in die Radverkehrsinfrastruktur auf Restriktionen für den MIV treffen."

Vgl. MoVe 35: Seite 24

Handlungspfad

Womit wir zu den Abschnitten "Handlungspfad" und "Handlungsfelder" kommen, die mit mehr als 170 Seiten den größten Teil des Konzeptes ausmachen und die Maßnahmen enthalten, die das Planungsbüro für die Zielerreichung vorschlägt:

"Das Handlungskonzept zeigt einen Entwicklungspfad auf, mit dem die Ziele des MoVe35 erreicht werden können. Ein wichtiger Schwerpunkt ist die Verlagerung des Autoverkehrs auf den Umweltverbund, um die negativen Effekte des Verkehrs deutlich zu reduzieren."

Vgl. MoVe 35: Seite 30

In den "teilräumlichen Handlungskonzepten" war es den Verfassern wichtig, "einige Teilräume konkreter zu betrachten und sie mit eigenen teilräumlichen Konzepten konkret zu beleuchten".

Herausgesucht habe ich hier die "Anbindung Behringwerke" sowie die "verkehrliche Entwicklung des Südviertels":

Anbindung Behringwerke

"Ein Umstieg in den ÖPNV, wenn bereits das Auto genutzt wird, stellt jedoch eine Barriere dar, so dass die Entscheidungsparameter deutlich verschoben werden müssen. Für die Attraktivität des Umstieges sollte der Verknüpfungspunkt daher gut organisiert sein, eine neue Schnellbuslinie bietet eine schnelle und hochwertige Möglichkeit, den Gewerbestandort von den Verknüpfungspunkten an den Afföllerwiesen bzw. in Lahntal zu erreichen. Gleichzeitig muss der Bus gegenüber dem übrigen Verkehr auf diesem Abschnitt konsequent bevorrechtigt werden. Parkgebühren am Gewerbestandort erhöhen die Attraktivität des Umstieges weiterhin. Weiterführende Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Umstieges können nur über restriktive Maßnahmen für den Kfz-Verkehr erfolgen (z. B. City-Maut), welche jedoch derzeit noch nicht realisierbar sind."

"Für eine Verlagerung auf den Umweltverbund wird für die Mitarbeitenden aus Marburg eine Raddirektverbindung aus dem Biegenviertel vorgesehen."

"Der notwendige Schwerverkehr ist möglichst stadtverträglich abzuwickeln. Entsprechend dieser Prämisse sollen Lkw-Routen ausgewiesen werden, die den Schwerverkehr über möglichst unsensible Straßen führt."

Vgl. MoVe 35: Seite 36 ff.

Bezeichnend sind hier auch die Ausführungen zum Behring-Tunnel im Sinne einer - nicht gewollten - "langfristigen Förderung der KfZ-Nutzung":

"Der Tunnel würde also für den Kfz-Verkehr eine starke Verbesserung der Erreichbarkeit des Behringstandorts bedeuten, die Fahrtzeit mit dem Pkw verkürzen und auch zu einer Entlastung Marbachs führen. Die Erreichbarkeit des Standorts mit dem Kfz wäre damit langfristig konkurrenzlos."

"Der Tunnel widerspräche dem grundsätzlichen Ziel der Stadtgesellschaft und des MoVe 35, eine mittelfristige Klimaneutralität und Modal-Split-Veränderung Marburgs zu erreichen; vielmehr würde langfristig anhaltend die Nutzung des Kfz gefördert."

"Diese Steigung würde laut einer Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 1992 eine Bergaufgeschwindigkeit für den Schwerverkehr von 24 km/h bedeuten, bergab seien 50 km/h anzunehmen."

Vgl. MoVe 35: Seite 121 ff.

Verkehrliche Entwicklung des Südviertels

"Die Reduzierung des Verkehrs in den Wohnstraßen wird v.a. durch eine Reduzierung der Parksuchverkehre erreicht, da die Verkehre direkt in die Parkbauten gelenkt werden und Parken im Straßenraum für externe Nutzende unattraktiver wird."

"Darüber hinaus soll das System der Superblocks im Südviertel Anwendung finden: Durch neue Schleifen- und Einbahnstraßenerschließungen ist ein direktes Durchfahren des Quartiers mit dem Kfz zukünftig nicht mehr möglich."

Vgl. MoVe 35: Seite 38 ff.

Handlungsfelder

In den 11 Handlungsfeldern sind dann ingesamt 57 verschiedene Maßnahmen aufgeführt, die, im Sinne einer "effizienten Umsetzung des Handlungskonzeptes" mit einer Priorität versehen wurden.
Vgl. MoVe 35: Seite 48

Auch hier habe ich drei Beispiele ausgewählt, mit nach m. E. weitreichenden Auswirkungen:

Einbahnstraße / Sperrung Biegenstraße

"Die Einbahnregelung auf der heutigen Hauptachse durch die Kernstadt wird zunächst den reinen Durchgangsverkehr auf die Bundesstraße verlagern. Aber auch Ziel- und Quellverkehre werden künftig anders verlaufen müssen und auf weniger sensible Straßen verlagert werden. Alle dort gelegenen Ziele bleiben weiterhin mit dem Pkw erreichbar, allerdings nur von Süden kommend. Fahrten in die Innenstadt von z. B. Marbach aus müssen mit dem Pkw also einen Umweg über den Pilgrimstein oder die weniger sensiblen Hauptstraßen B3 bzw. L3089 fahren."

Vgl. MoVe 35: Seite 128 ff.

Sperrung Am Grün

"Die Frankfurter Straße stellt eine Parallelverbindung zur Universitätsstraße durch das Südviertel dar. Auch heute noch wird sie als Schleichweg und vermeintliche Abkürzung genutzt, obwohl die realen Zeitvorteile minimal sind."

"Um diesen engen Straßenraum zu entlasten und (Durchgangs-)Verkehr im gesamten Südviertel zu reduzieren, wurde die Unterbrechung von Am Grün zwischen Jäger- und Schulstraße geprüft. Die Ausfahrt vom Parkhaus in der Schulstraße über Am Grün Richtung Universitätsstraße wäre dabei weiterhin möglich."

Vgl. MoVe 35: Seite 134 ff.

Abbindung Rudolphsplatz

"Bei Realisierung der Idee als Abrundung des Konzeptes würde der Rudolphsplatz final als zentraler Knoten südlich des Viertels nach Norden abgebunden werden und als attraktiver Stadtplatz umgestaltet. Eine Durchfahrt mit dem Kfz vom Pilgrimstein bzw. der Biegenstraße auf die Universitätsstraße und über die Weidenhäuser Brücke würde somit unterbunden werden."

"Um die Frage zu klären, ob die Maßnahme erneut in Betracht gezogen werden kann, ist daher zunächst ein Vertreterbegehren anzustreben. Hinzu kommt der eingangs benannte, rechtliche Klärungsbedarf sowie die erforderliche Abstufung der Landesstraßen."

"Besucher des – dann zu großen Teilen bereits autofreien Viertels können ihren Pkw weiterhin in den Parkhäusern und -plätzen nördlich und südlich der Kernstadt abstellen. Durchlässig bleibt das Viertel nur für den Radverkehr und die Linienbusse."

Vgl. MoVe 35: Seite 131 ff.

Schluss

Soweit der zweite Teil meiner voraussichtlich siebenteiligen Blog-Reihe, bewußt ohne ein erstes Fazit oder eine weitergehende Kommentierung. In Arbeit sind die Artikel Planungsbüro, Datenlage, Bürgerbeteiligung, Kommunikation, Fazit und Key Learnings.

  1. Vorgeplänkel
  2. Das Konzept
  3. Das Beratungsbüro
  4. Die Datenbasis
  5. Die Online-Umfrage