In Deutschland läuft es unter dem Schlagwort „Chatkontrolle“: Die Verordnung zum Kampf gegen Kindesmissbrauch, Child Sexual Abuse CSA. Seit mehr als zwei Jahren verhandeln die EU-Mitgliedstaaten hier um eine gemeinsame Position. Die Kernfrage dabei, die der Auflösung des digitalen Briefgeheimnis gleichkommt: Darf private Kommunikation von staatlichen Stellen auf Darstellungen von Kindesmissbrauch durchsucht werden?

Die EU-Kommission möchte mit der CSA-Verordnung Internetdienste dazu verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer automatisiert auf Straftaten zu durchsuchen, Verdachtsfälle sollen anschließend an Behörden gemeldet werden.

Nachdem mehrere EU-Ratspräsidentschaften an einer Einigung gescheitert sind, versuchte sich nun das als "liberal" und "rechtsstaatlich" bekannte Ungarn (welches die Ratspräsidentschaft bis Ende der Jahres innehat) an der Sache.

Damit sich die EU-Staaten auf eine gemeinsame Position einigen könnne, hatte Ungarn den letzten Vorschlag Belgiens in einigen Punkten angepasst. So sollte die verpflichtende Chatkontrolle zunächst nur nach bekannten Straftaten suchen, also nach Bilder, Videos usw. die bereits aufgefallen sind. Erst später, wenn die Technik "reif" genug ist, sollte die Suche nach neuen Verdachtsfällen hinzukommen:

(9a) Detection orders should be limited to known child sexual abuse material (CSAM). New CSAM and grooming would be outside the scope of detection orders but should remain in the scope of the risk assessment and risk mitigation obligations.

(9b) The temporary derogation from certain provisions of Directive 2002/58/EC for the purpose of combating online child sexual abuse should be continued through an extension of Regulation (EU) 2021/1232 limited to new CSAM and grooming, to allow sufficient time for the further development of technologies, and the possible future revision of the Regulation under the review clause outlined below.

Europäische Union, 29.08.2024: Proposal for a Regulation of the European Parliament

Erfreulicherweise hat sich das niederländische Parlament eindeutig gegen die Chatkontrolle gestellt:

Bedenken hinsichtlich des Schutzes der auf dem Spiel stehenden Grundrechte, insbesondere in den Bereichen Datenschutz und Post- und Fernmeldegeheimnis, und die Sicherheit des digitalen Raums werden derzeit nur unzureichend behandelt. Das Kabinett beschloss daher, von einer Stellungnahme abzusehen und dies aktiv bekannt zu machen. Die Niederlande werden somit zu den Ländern gezählt, die die allgemeine Ausrichtung nicht unterstützen.

Niederländische Ministerium für Justiz und Sicherheit, 03.10.2024: Standpunkt der Niederlande zur CSAM-Verordnung

Durch die dadurch zusammen mit Österreich, Belgien, Tschechien, Polen und Deutschland entstandene Sperrminorität im Rat gegen die Chatkontrolle, wurde über den Verordnungstext beim letzten Treffen der EU-Innenminister am 10.10.2024 erst gar nicht abgestimmt.

Links, rechts: Sándor PINTÉR (Innenminister, Ungarn), Ylva JOHANSSON (EU-Kommissarin für Inneres)
Quelle: Europäische Union

Schluss

Es ist schon verwunderlich, mit welcher Nachhaltigkeit und Vehemenz die EU-Kommission versucht, die Chatkontrolle auf den Weg zu bringen. Da drängt sich unweigerlich der Verdacht auf, dass es unter dem Deckmantel eines "Kampfes gegen Kindesmissbrauch" um viel mehr geht, vergl. Europol will Chatkontrolle-Daten unbegrenzt sammeln.

Die Privatsphäre heisst Privatsphäre, weil sie privat ist.
Das Internet ist großartig. Allerdings gibt es viel zu tun, damit das so bleibt.

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